Ein alter Musikerwitz geht so: „Fragt ein Tourist, der sich auf dem Weg zum Konzert verlaufen hat, einen Passanten: ‚Wie komme ich zu den Berliner Philharmonikern?‘. Der antwortet: ‚Üben, üben, üben!‘“. Dass jedes einzelne Mitglied der Berliner Philharmoniker großartige solistische Qualitäten besitzt, ist weithin bekannt. Umso erstaunlicher, dass es in dieser elitären Riege der Talentverwöhnten noch eine „Crème de la Crème“ gibt.

Wenzel Fuchs © Jim Rakete
Wenzel Fuchs
© Jim Rakete
Der aus Innsbruck stammende Soloklarinettist der Berliner Philharmoniker, Wenzel Fuchs, ist eine solche Ausnahme von der Ausnahme. Dies stellte er mit seiner hinreißend klangschönen Interpretation des Klarinettenkonzerts in A-Dur, KV 622 von Wolfgang Amadeus Mozart unter Beweis. Wie bei jedem Instrument gibt es auch bei der Klarinette nicht nur ein Klangideal, denn schließlich erfordern unterschiedliche Epochen oder gar unterschiedliche musikalische Genres jeweils ihre Ausdrucksmittel. Sieht man von experimentellen Kompositionen ab, so gibt es jedoch eine ureigene Klangqualität eines jeden Instruments, die sich Komponisten mehr oder weniger gekonnt zu eigen machen können. Mozart vermochte dies in bis heute unerreichter Art und Weise. Sein einziges Klarinettenkonzert widmete er dem Mitglied der Kaiserlichen Hofkapelle zu Wien, Anton Stadler, von dem ein begeisterter Kritiker einmal geschrieben hatte: »Hätt’s nicht gedacht, dass ein Klarinet menschliche Stimme so täuschend nachahmen könnte, als du sie nachahmst. Hat doch dein Instrument einen Ton so weich, so lieblich, dass ihm niemand widerstehn kann, der ein Herz hat.«

So konnte auch niemand dem Klangzauber Wenzel Fuchs‘ widerstehen, bei dem es oftmals schien, als würde er nicht nur Töne in den Zuschauerraum tragen, sondern die Luft so lange zart streicheln, bis der samtweiche Klarinettenton als feiner Funke entzündet sich unaufhaltsam den Weg in die Ohren und Herzen der Zuhörer bahnte – nur um im nächsten Moment wieder mit der Stille zu verschmelzen. Aber auch geschmackvolle Rubati, wohldosierte Akzente und abwechslungsreiche Phrasierungen gehören zum interpretatorischen Werkzeugkasten des Österreichers, der schon seit 1993 bei den Philharmonikern seinen Dienst tut. Daneben hat er vielfältige Engagements auch als Dozent im In- und Ausland.

Ebenfalls international gefragt ist Alan Gilbert, der das Dirigat dieses exquisiten Konzertabends innehatte. Erfreulicherweise wird er ab Sommer 2019 zunächst für fünf Jahre den Posten des Chefdirigenten des NDR Elbphilharmonie Orchesters übernehmen. Vergleicht man ihn heute mit seinem Antrittskonzert beim New York Philharmonic Orchestra im Jahre 2009, dann hat sich zu seiner immer schon perfektionistischen Übersetzung der Partitur in präzise gestische Signale noch eine weitere für einen derart körperlich präsenten Menschen erstaunliche und für den Zuschauer höchst erfreuliche Eigenschaft gesellt: Eleganz.

Alan Gilbert © Chris Lee
Alan Gilbert
© Chris Lee

Diese Eleganz kam gleich zu Beginn des Konzerts den originellen Three Studies from Couperin (2006) des britischen Komponisten Thomas Adès zugute. Adès bearbeitet hier auf höchst delikate Weise Kompositionsvorlagen des Barockcembalisten François Couperin. Er lässt die Couperin-Vorlagen in Melodik, Tonart, Harmonik und Taktzahl zwar unverändert, verfremdet die Stücke allerdings mithilfe der ungewöhnlichen Orchestrierung: Zu einem Kammerorchester gesellen sich Marimba, Basstrommel, Schlagzeug und Pauken. Insbesondere das Marimbaphon und die tiefen Holzbläser und Streicher gaben den Stücken eine klangliche Färbung, als hätte jemand die Philharmonie randvoll mit Wasser gefüllt. Dank des galanten Dirigats Alain Gilberts und der hochkonzentrierten Arbeit der Philharmoniker gereichte auch diese klangmagische Zeitreise zur Perfektion.

In der zweiten Konzerthälfte zeichnete dann ein sichtlich und hörbar wohlgestimmtes Philharmonisches Orchester die Images pour orchestre von Claude Debussy in die vibrierende Luft des Konzertsaals. Diese Stücke des französischen Tonmalers sind musikalische Beschreibungen kleiner Szenen: Lichter spiegeln sich im Wasser, von ferne klingen Glocken und der Mond sinkt herab. Besonders die spanische Reminiszenz „Ibéria“ mit ihren packenden Takt- und Tempowechseln und dem Kastagnetten-getriebenen Bolero-Rhythmus im ersten Abschnitt berauschte Publikum und Musiker gleichermaßen. Als dann langsam und träumerisch die Nacht mit ihren berückenden Düften Einzug hielt und Harfen, Oboen und Klarinetten einen Zauberteppich aus chromatisch verschobenen Akkorden webten, da war die adäquate Atmosphäre geschaffen für die fabelhaften Oboensoli, die mit Albrecht Mayer ein weiterer dieser Ausnahmekünstler anstimmte. Die „Rondes de printemps“ beendeten leichtfüßig und tänzerisch diesen frühlingsfröhlichen Konzertgenuss.